Die 1990er – Teil 1

Soziale Arbeit unter Finanzierungsvorbehalt

Der Paritätische Hessen unterstützt zu Beginn des Jahrzehnts aktiv den Aufbau  zivilgesellschaftlicher Strukturen in der ehemaligen DDR. Vorstandsmitglied Rolf Gerking vom Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Wetzlar wird für die Jahre 1990 bis 1992 als Geschäftsführer zum neuen Paritätischen Landesverband Thüringen entsandt, um die dortige Pionierarbeit zu unterstützen.

Geschäftsführer Günter Woltering unternimmt manche Tour mit dem Wohnmobil ins Nachbar-Bundesland, wo er mit seinem Know-how zu rechtlichen und fachlichen Fragen der freien Wohlfahrtspflege sehr willkommen ist.

In der ersten Hälfte des Jahrzehnts kann der Verband sein Leistungsspektrum erweitern. Neue Fachreferent*innen kommen hinzu – unter anderem für die Bereiche Altenhilfe, Gesundheitswesen, Frauen- und Mädchenarbeit sowie Migrant*innen und Öffentlichkeitsarbeit. Auch die  betriebswirtschaftliche und rechtliche Beratung sowie das Controlling werden ausgeweitet. Denn immer mehr Mitgliedsorganisationen entwickeln sich vom kleinen Verein zum großen Dienstleistungsunternehmen mit entsprechendem Beratungsbedarf.

An der Verbandsspitze gibt es 1994 einen Wechsel: Als Nachfolgerin von Paul Marx wird das langjährige Vorstandsmitglied Anne Franz zur neuen Vorsitzenden gewählt. Sie hat den Darmstädter Pflege- und Sozialdienst e. V. zu einem erfolgreichen Sozialunternehmen gemacht und bringt einen breiten Erfahrungsschatz für das neue Amt mit. Am 12. September 1997 feiert der Landesverband sein 50-jähriges Bestehen mit einem Tag der offenen Tür und einer Feierstunde auf der Körnerwiese.

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Angesichts der staatlichen Finanzkrise stehen immer mehr Aufgaben der sozialen Arbeit unter Finanzierungsvorbehalt, freiwillige Leistungen werden gekürzt oder gestrichen. Die vom Verband lange geforderte Pflegeversicherung kommt zwar, verfehlt aber letztlich das zentrale Ziel, die pflegebedingte Sozialhilfeabhängigkeit zu verhindern.

Mehrere Gesundheitsreformen werden beschlossen, vielfach verbunden mit Leistungskürzungen und privaten Zuzahlungen. In den Rahmenvertrags und Entgeltverhandlungen zwischen den  Wohlfahrtsverbänden und Krankenkassen oder überörtlichen Sozialhilfeträgern beziehungsweise Ministerien stehe immer seltener die menschliche Komponente im Fokus, beklagt der Verband. Er sieht das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für viele Menschen zunehmend infrage gestellt. Obwohl die Arbeitslosigkeit zeitweise auf ein Rekordhoch von mehr als viereinhalb Millionen Menschen klettert, sind die Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einem unverantwortlichen Auf und Ab bei der Finanzierung ausgesetzt, das die Bemühungen zur Arbeitsmarktintegration insbesondere von Langzeit-Arbeitslosen erschwert.