Christoph Hille berufliche Vita ist durch und durch vom Lebenshilfe-Werk Kreis Waldeck-Franckenberg geprägt. Auf dem Foto oben ist er mit seiner Ehefrau Kirsten vor der KostBar, einer gastronomischen Einrichtung des Lebenshilfe-Werks Kreis Waldeck-Frankenberg zu sehen. Nach dem Abitur in Bad Arolsen hat er seinen damals 20 Monate dauernden Zivildienst auf dem Hofgut Rocklinghausen verbracht. „Ich war als Zivi in alle Arbeitsabläufe eingebunden, habe dort auch gewohnt, bei landwirtschaftlichen Arbeiten unterstützt und im Wohnbereich mitgearbeitet“, erinnert er sich. Das zupackende Engagement von damals hat reichlich Früchte getragen: Heute ist der 56-Jährige Geschäftsführer des großen Sozialunternehmens. Dazwischen liegen Studienjahre in Düsseldorf, denen 1994 das Anerkennungsjahr folgt – wiederum beim Lebenshilfe-Werk. Diesmal ist der junge Diplom-Sozialarbeiter beim sozialen Dienst der Korbacher Werkstätten eingesetzt. 1995 übernimmt er bereits die pädagogische Leitung der Korbacher Werkstätten, dann aufgrund betrieblicher Veränderungen auch bald schon die Leitung des Fachbereichs Arbeit. In dieser Funktion gehört er ab 2004 dem hauptamtlichen Vorstand an und übernimmt 2016 als Nachfolger von Dr. Wolfgang Werner das Amt des Vorstandschefs.
Und wie ist Christoph Hille zur Arbeit mit Menschen mit Behinderung gekommen? „Mein Vater war sozialpädagogischer Leiter des Berufsbildungswerks in Bad Arolsen und auch meine Mutter hat im Reha-Bereich gearbeitet. Dadurch hatte ich schon früh ganz selbstverständlich Kontakt mit jungen Menschen mit Behinderung.“ Auch seine Ehefrau Kirsten engagiert sich in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen: Die Diplom-Pädagogin arbeitet seit 1996 in den Korbacher Werkstätten, dort haben die beiden sich kennengelernt, seit 2001 sind sie verheiratet.
Was Christoph Hille an der Arbeit begeistert, ist vor allem, „dass wir dazu beitragen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen und Teil unserer Gesellschaft sind. Es ist uns wichtig, individuelle Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen anzubieten.“ Findet er es schade, dass es heute keine Zivis mehr gibt? Auch wenn er selbst so den Einstieg in die soziale Arbeit genommen hat, Christoph Hille trauert dem Zivildienst, der 2012 nach dem Ende der Wehrpflicht abgeschafft wurde, nicht nach: „Gesellschaften entwickeln sich weiter. Und die Befürchtung, dass es mit der Abschaffung des Zivildienstes zu Einbrüchen in der sozialen Arbeit kommt, hat sich nicht bewahrheitet. Auch wenn der Fachkräftemangel die Soziale Arbeit erreicht hat finden über das Freiwillige Soziale Jahr und den Bundesfreiwilligendienst viele junge Menschen den Weg in soziale Berufe.“ Was ihn richtig erschüttert hat, sind die großen Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie, die alte Menschen und Menschen mit Behinderung besonders hart getroffen haben. „Das hat unserer Gesellschaft nochmal den Spiegel vorgehalten, wie weit wir mit der Inklusion sind beziehungsweise noch nicht sind.“
Und was sagt Christoph Hille zur Kritik, Werkstätten seien selbst Teil der Exklusion? Der Geschäftsführer, der sich auch in der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Hessen engagiert, ist sicher: Ohne Werkstätten hätten viele Menschen mit Behinderung überhaupt keine Chance auf eine berufliche Beschäftigung. „Die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt muss besser werden, doch Menschen mit Behinderung darf nicht die Option genommen werden, sich für die Arbeit in einer Werkstatt zu entscheiden. Aber sicher werden wir im Zusammenhang mit der Mindestlohn-Debatte künftig Regelungen für ein Entgeltsystem finden müssen, die sowohl das komplexe Finanzierungssystem der Werkstätten berücksichtigen als auch den Menschen mit Behinderung mehr gerecht werden.“
Zunächst ein Zweck-Bündnis
Motiviert durch die Gründung der Bundesvereinigung Lebenshilfe schaffen 1965 auch in den Altkreisen Waldeck und Frankenberg einige Eltern und andere Engagierte Kreisvereinigungen der Lebenshilfe. Bis dahin haben die meisten Familien mit schwer- und mehrfach behinderten Kindern kaum Kontakt außer Haus und nahezu keine Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kinder. Weder im Kindergarten noch in der Schule tauchen die jungen Menschen mit Behinderung auf, sie werden oft nicht einmal als „beschulbar“ betrachtet. Hilfe einzufordern oder gar ihr Kind zur Betreuung auch nur stundenweise wegzugeben, das scheint vielen Eltern zudem noch undenkbar angesichts dessen, was Menschen mit Behinderung in der NS-Zeit angetan worden war. Eine wichtige Aufgabe der Lebenshilfe ist es daher in der Anfangszeit, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen und Aufklärungsarbeit über die Ursachen von Behinderung zu leisten, um die Vorurteile in der Bevölkerung abzubauen.
Erste niedrigschwellige Angebote werden geschaffen: Spielnachmittage, zu denen die Kinder mit einem von der „Aktion Sorgenkind“ (heute Aktion Mensch) finanzierten Kleinbus gefahren werden. Aus den Spielnachmittagen wird schon bald eine regelmäßige
Betreuung in Kindergarten und Sonderkindertagesstätte,aus Bastelstunden für Jugendliche und junge Erwachsene eine Anlernwerkstatt, in der Holzwaren, Flechtarbeiten und Gewebtes entstehen. Frühförderangebote und schulische Angebote zunächst in Sonderklassen und dann in der
Sonderschule kommen hinzu. Das ehrenamtliche Engagement wird mehr und mehr durch den Einsatz hauptamtlicher Kräfte ergänzt. Parallel dazu verbessert sich auch die rechtliche Situation im Hinblick auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Und 1969 erhalten Menschen mit Behinderung mit dem Berufsbildungsgesetz dann auch einen Rechtsanspruch auf Bildung und Ausbildung.
1975 gründen die Kreisvereinigungen Waldeck und Frankenberg der „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“ gemeinsam das Lebenshilfe-Werk Kreis Waldeck-Frankenberg e.V.. Das Hessische Sozialministerium hatte die Gewährung von Mitteln zum Bau einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung an die Gründung dieses Trägerverbandes geknüpft. Heute ist das Lebenshilfe-Werk Kreis Waldeck-Frankenberg e.V. ein großes, in der Region gut vernetztes Sozialunternehmen und drittgrößter Arbeitgeber im Landkreis. Rund 650 hauptamtliche Beschäftigte betreuen rund 800 Menschen mit Behinderung aller Altersstufen. Eine Vielzahl von Einrichtungen im Bereich Arbeit bietet ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Teilhabe am Berufsleben. Es reicht vom landwirtschaftlichen Betrieb mit Bio-Metzgerei über gastronomische Einrichtungen und Werkstätten bis zum Fachdienst Übergänge, der die dauerhafte berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützt. Der Fachbereich Kinder, Jugend und Familie besteht aus Frühförderstellen und Familienzentren und der Fachbereich Wohnen und Offene Hilfen bietet unterschiedliche Wohnkonzepte sowie eine Tagespflege für ältere Menschen mit und ohne Behinderung.