Arbeitsloseninitiative im Lahn-Dill-Kreis

Kreativität weckt Kräfte

Was 1989 als Arbeitsloseninitiative in Wetzlar begann, ist heute ein soziokulturelles Zentrum mit einer Vielzahl von Projekten und einem breiten sozialpolitischen und zivilgesellschaftlichen Engagement, das weit über die mittelhessische Kreisstadt hinausstrahlt: Die Arbeitsloseninitiative im Lahn-Dill-Kreis e. V. – kurz Wali – ist aktiv in der Arbeitsmarktintegration, Gesundheitsförderung, Kultur-, Bildungs- und Gemeinwesenarbeit. Ein wichtiger Leitgedanke der Arbeit ist, Kultur und Soziales miteinander zu verbinden.

Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben für das Wali-Team jede Menge zusätzliche Arbeit gebracht. „Die steigendenden Energie- und Lebensmittelpreise sind ein Riesenproblem für Menschen ohne Arbeit oder mit geringem Einkommen“, sagt Stefan Lerach, der gemeinsam mit Pamela Huisgen die Geschäfte der WALI leitet. „Viele Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, kommen zur Beratung, weil der ohnehin zu knapp bemessene Regelsatz von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II vorne und hinten überhaupt nicht mehr reicht. Ein großes Thema sind zum Beispiel Nachzahlungen für Strom und Gas und und wie es möglich ist, beim Amt eine Übernahme der unerwarteten Ausgaben zu erreichen.“  

Während der Anfangszeit der Pandemie waren zudem die meisten Ämter für den Publikumsverkehr geschlossen, so dass viele Menschen Hilfe benötigten, um Anträge digital auszufüllen oder Formulare einzuscannen. „Wir haben in mehreren Schichten gearbeitet, um für die Leute da sein zu können und zugleich die Kontaktbeschränkungen einzuhalten“, sagt Stefan Lerach.

Tagesstruktur ist wichtig

Aber auch die Wali musste etliche Angebote runterfahren. Das sei besonders hart für Menschen, die aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit und psychischen Erkrankungen oder einer Suchtproblematik ohnehin schon von Isolation bedroht seien, so Stefan Lerach. Für sie seien Angebote wie der tägliche Mittagstisch oder das freitägliche Arbeitslosenfrühstück, regelmäßige Gesundheitsberatungen oder Kulturprojekte, die ihnen eine sinnhafte Tagesstruktur geben, besonders wichtig. Hier erleben sie sozialen Rückhalt, sind eingebunden in eine Gemeinschaft und können bei kreativer Betätigung gemeinsam mit anderen Erfolgserlebnisse sammeln. „Nicht alleine Wege aus der Arbeitslosigkeit sind Inhalt unserer Arbeit, sondern auch das Leben mit Arbeitslosigkeit, denn für viele Menschen ist das langfristig Realität“, sagt Geschäftsführer Lerach, der einst selbst über den Weg der persönlichen Betroffenheit zur Wali kam. Zuvor war er als Journalist, im Verlagswesen und bei einer Organisationsberatung tätig.

Ein Beispiel für die Möglichkeit zur positiven Alltagsgestaltung ist der Interkulturelle Garten im Wetzlarer Westend, einem Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf. Beim gemeinsamen Gärtnern entstehen soziale Kontakte zwischen Menschen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen und aus verschiedenen Nationalitäten. Daneben lernen die Teilnehmenden viel Nützliches zu Gesundheit und Ernährung. Kultureller Austausch, Sprachen lernen und Nachbarschaftshilfe sind weitere wichtige Aspekte des Projekts.

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Arbeitslosigkeit macht krank

Menschen, die längere Zeit ohne Erwerbsarbeit sind, haben ein deutlich höheres Risiko für chronische Erkrankungen als Berufstätige. Um hier entgegenzusteuern, engagiert sich die Wali besonders im Empowerment von Arbeitslosen und in der Gesundheitsförderung.
„Arbeitslosigkeit ist eine besondere Form von dauerhaftem Stress“, sagt Wali-Geschäftsführer Stefan Lerach. „Finanzielle Sorgen, fehlende Tagesstruktur, schwindende soziale Kontakte und immer wieder die Erfahrung, bei der Arbeitssuche zurückgewiesen zu werden – all das schwächt das psychische Wohlbefinden von Erwerbslosen. Und das wiederum begünstigt das Entstehen von chronischen Erkrankungen.“ Gesundheitliche Probleme wiederum erschweren die Vermittlung in Arbeit – ein Teufelskreis, den die Wali bereits 1998 bei einer Fachtagung zum Thema Gesundheitsförderung thematisierte. Erkenntnisse der Fachtagung flossen in eine Gesundheitsbroschüre ein, die unter dem Titel „Die andere Seite der Erwerbslosigkeit" bis heute erhältlich ist. Außerdem ist eine wichtige Publikation des Wali die Broschüre „Leben mit wenig Geld“, die von Arbeitslosen aufgrund eigener Erfahrung sehr lebenspraktisch gestaltet worden ist.    

Angebote der Wali

Acht festangestellte Mitarbeiter*innen und bis zu sieben Kräfte in Fördermaßnahmen sowie rund 16 ehrenamtliche Kräfte sind beim Wali aktiv. Sie ermöglichen eine Vielzahl von Angeboten vor allem für Menschen, die Leistungen im Rahmen der Sozialgesetzbücher II und XII erhalten. Dazu gehören neben einer unabhängigen individuellen Beratung für Menschen in Notlagen auch tagesstrukturierende Maßnahmen für seelisch- beziehungsweise suchtkranke Menschen, Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose und Ein-Euro-Jobs sowie Integrationsmaßnahmen für Geflüchtete, deren Status noch nicht endgültig geklärt ist. Ein zentrales Ziel der Wali ist es, der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Arbeitslosen entgegenzuwirken. Für eine Vielzahl von Projekten kooperiert sie unter anderem mit Trägern der Gemeinwesenarbeit, der Suchthilfe, Akteuren der Gemeindepsychiatrie, dem Kommunalen Jobcenter sowie der Stadt Wetzlar und dem Lahn-Dill-Kreis, dem Landeswohlfahrtsverband Hessen und kirchlichen Trägern.