Mit unseren Werten unvereinbar

Wir distanzieren uns von unserem Gründungsvorsitzenden Wilhelm Polligkeit

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gab es in Deutschland in vielen Bereichen keine klare Abgrenzung zu Haltungen und Akteur*innen aus der NS-Zeit. Die Wohlfahrtspflege ist da keine Ausnahme. Gerade jene, die nicht Parteimitglied der NSDAP waren, konnten ihre berufliche Laufbahn ohne jeden Bruch fortsetzen – unabhängig davon, ob sie menschenverachtende Haltungen und Handlungen mitgetragen oder sogar offensiv vorangetrieben hatten.

Das trifft auch auf Wilhelm Polligkeit zu, der in der entstehenden Bundesrepublik ein weithin anerkannter Sozialwissenschaftler war. Der Landesverband Hessen des Paritätischen Wohlfahrtsverband wurde 1947 unter seinem Vorsitz gegründet, der Paritätische Gesamtverband machte ihn 1949 bei seiner Wiedergründung zum Ehrenvorsitzenden und auch am Neuaufbau des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge war er maßgeblich beteiligt. 1952, acht Jahre vor seinem Tod, wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Die Einschätzung, dass Wilhelm Polligkeit von jeder Kollaboration mit den Nationalsozialisten freizusprechen sei, bröckelte viel zu spät, erst zur Jahrtausendwende: Anne-Dore Stein, heute Professorin an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, deckte seine aktive Rolle in der nationalsozialistischen Sozial- und Bevölkerungspolitik auf. Der Paritätische unterstützte sie bei den Recherchen für ihre 2001 fertiggestellte Dissertation und ging schon während ihrer Forschungen auf Abstand zu seiner Leitfigur Polligkeit. Die damalige Zentrale des Paritätischen in Frankfurt, das Wilhelm-Polligkeit-Institut, wurde 1999 in Haus der Parität umbenannt und die nach Polligkeit benannte Ehrenplakette des Paritätischen seitdem nicht mehr verliehen.

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Polligkeits Menschen- und Gesellschaftsbild steht unserem in vielen Punkten diametral entgegen: Er kategorisierte Menschen und benutzte dabei den Begriff „Minderwertigkeit“, vertrat sozial-rassistische Auffassungen über „Erbkranke“ und „Assoziale“, die im Nationalsozialismus dazu führten, dass Menschen zwangssterilisiert und ermordet wurden. Er forderte, nichtsesshafte Menschen, „die die öffentliche Fürsorge mißbrauchen, oder den Rechtsfrieden stören, unschädlich zu machen“, begrüßte in der NS-Zeit, dass „die störenden Einflüsse von Parlamenten ausgeschaltet sind.“

Anne-Dore Stein bilanziert in ihrer Forschungsarbeit zum Wirken Wilhelm Polligkeits: „Sozialplanung ohne eine menschenrechtlich begründete Orientierung an einer ethischen Grundhaltung lässt sozialpolitische Lösungen entstehen, die bedenkenlos die Vertreibung, Beseitigung und Vernichtung von Menschen ermöglichen.“

Unter dem Eindruck der NS-Gräuel wurde 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Für den Paritätischen ist sie der Kompass für die Soziale Arbeit. Offenheit, Vielfalt und Toleranz sind die unverhandelbare Basis unserer Arbeit, 2015 haben wir uns im Rahmen eines Wertedialogs dessen vergewissert.  Wir stehen für eine demokratische Gesellschaft, in der sich jeder Mensch unabhängig von sozialer oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, Alter, Glauben oder Weltanschauung, sexueller Identität, materieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung oder Krankheit frei entfalten kann.

Rassistische, sozialdarwinistische und antidemokratische Haltungen haben im Paritätischen Hessen keinen Platz. Wir distanzieren uns daher von unserem Gründungsvorsitzenden Wilhelm Polligkeit und drucken sein Bild an dieser Stelle verfremdet ab. Unser Gedenken an ihn ist kein ehrendes.

Wir fühlen uns verpflichtet, allen Ideologien der Ungleichwertigkeit entschieden entgegenzutreten und ihnen klar und offen zu widersprechen. Auch und gerade, weil unser Gründungsvorsitzender Wilhelm Polligkeit solche Ideologien propagiert hat. 2018 haben wir in einem Positionspapier eine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien wie der AfD ausgeschlossen, die versuchen, die NS-Zeit zu relativieren oder positiv umzudeuten.

Vielfalt ist für uns ohne Alternative!